lunes, abril 30, 2007

Das Jesulein von Alcoy (Alicante) - Fronleichnamsprozession mitten im Winter

Ein Franzose, namens Jean Prats, Tuchfärber und Händler, der sich im spanischen Dorfe Alcoy bei Alicante niedergelassen hatte, drang am 29. Januar 1568 abends in die Pfarrkirche ein und stahl ein kleines Silberköfferchen, in welchem sich mehrere Hostien befanden, sowie einen silbernen Kelch, der mit der hl. Wegzehrung zu den Sterbenden getragen wurde. Auch andere Kostbarkeiten ließ der Gottesräuber mitlaufen.
Als am folgenden Morgen die beiden Geistlichen HH. Miguel Soler und HH. Josef Pastor den eucharistischen Raub bemerkten, ließen sie sofort die Sturmglocken läuten, verkündeten der zusammenlaufenden Menschenmenge, was geschehen und forderten alle auf, das geraubte hochwürdigste Gut zu suchen sowie zu beten und zu fasten, um dasselbe möglichst bald aus den sakrilegischen Händen zu befreien.
Die redlichen Bewohner von Alcoy waren über das Verbrechen aufs tiefste bestürzt. Nach Anhörung der hl. Messe halfen Männer, Frauen und Kinder der Obrigkeit, die hl. Hostie zu suchen und nach den Dieben zu fahnden. Die alten Leute aber zogen barfuß in einer Bitt- und Bußprozession zu einer Muttergotteskapelle. Indessen wurde jeder Stall, jede Scheune, jedes Gestrüpp und jeder Heuschober und Misthaufen durchsucht, jedoch ohne Erfolg.
Man sandte sogar einen Meldereiter nach Madrid, um König Philipp II., den genialen Erbauer des Klosters Escorial, vom Hostienraub zu unterrichten. Der fromme Monarch nahm sich die betrübende Nachricht so sehr zu Herzen, daß er in seiner Residenz offizielle Hoftrauer anordnete.
Alcoy aber gönnte sich Tag und Nacht keine Ruhe. Jede andere Arbeit wurde zurückgestellt. Handwerker und Bauern betrachteten es als ihre dringendste Christenpflicht, die entwendeten heiligen Hostien zu suchen. Sogar die umliegenden Weiler, Hügel und Wiesen wurden abgesucht und ununterbrochen überall gebetet.
Eine Witwe, namens Maria Miralles, die über dem Stalle wohnte, worin Juan Prats seine Färberei und seine Zugtiere untergebracht hatte, warf sich tief betrübt vor einer lieblichen Statue des Jesuskindes nieder. Ein frommer Künstler hatte diese einst für ihre Vorfahren geschnitzt. Schon oft erhörte dieses Jesulein nicht nur ihre eigenen Bitten, sondern auch die Bitten anderer Hausbewohner und Nachbarn. Manchmal sogar, namentlich in Zeiten allgemeiner Trübsal, wie Hungersnot, Pest und Krieg, war diese Statue auf einen öffentlichen Platz getragen worden, damit alle Anwohner sich zu dessen Füßen niederwerfen und um Gnade und Erbarmen flehen konnten. Und jedesmal gewährte das holde Kindlein Erhörung. Der Hostienraub, der war ja auch eine schwere Heimsuchung für das ganze Dorf von Alcoy. Deshalb nahm Frau Miralles auch jetzt ihre Zuflucht zum geliebten Gnadenbilde.
Weinend flehte sie: «O liebes Jesulein, umsonst haben wir bisher gesucht. Habe Erbarmen und laß die hochheiligen Hostien nicht länger mehr in Diebesgewalt. Zeige uns doch, wir bitten Dich, den Ort, wo sie versteckt sind!»
Da bemerkte die Frau zu ihrem unsäglichen Staunen plötzlich, daß sich die Statue zu neigen begann und das rechte Händchen, das bisher zum Himmel emporgestreckt war, sich senkte und auf den Fußboden deutete. Ein Schrei entwich ihren Lippen. Die Hausgenossen liefen herbei. Und sie staunten ebensosehr wie Frau Miralles, als sie das Jesulein, welches sie im Laufe vieler Jahre immer in aufrechter, gerader Haltung erblickt hatten, nun so auffallend verändert sahen, ohne daß der geringste Schaden am hölzernen Schnitzwerk zu bemerken war. Bald zweifelte niemand mehr daran, daß die gesenkten Fingerchen offenbar auf das Hostienversteck hinweisen wollten. Mehrere angesehene Männer eilten zur Behörde und verlangten, daß man die Statue des Jesuleins amtlich in Augenschein nehme und die darunterliegenden Stallräume, die bereits zweimal erfolglos durchstöbert wurden, ein drittes Mal mit aller Sorgfalt prüfe.
Die Obrigkeit entsprach der Bitte. Während man Juan Prats, der als Spötter und Flucher bekannt war und früher schon in zwei verschiedene Diebstähle verwickelt gewesen war, zur Untersuchungshaft abführte, fand man tatsächlich unter vergilbten Maisblättern den Silberkelch und die kleine Truhe mit drei heiligen Hostien. Dies geschah am 31. Januar 1568.
Als der Richter den Gefangenen fragte, was er mit den heiligen Hostien gemacht habe, antwortete er: «Ich habe alle aufgegessen!»
«Wieso alle aufgegessen?» bemerkte kopfschüttelnd der Richter, «man hat ja drei Hostien bereits gefunden!»
Da rief Juan Prats erbleichend: «Nun glaube auch ich an einen gerechten Gott! Denn ich war fest überzeugt, alle Hostien verspiesen zu haben, damit dieselben nicht gegen mich zu zeugen vermöchten und, ohne daß ich es bemerkte, sind dennoch drei Hostien übriggeblieben!»
Mit innigem Jubel feierte ganz Alcoy die Auffindung des hochwürdigsten Gutes. Aber auch das Jesulein, welches das Versteck gezeigt, wurde nicht vergessen. Die Behörden kauften schon nach zwei Monaten das Haus der Witwe Miralles und die Räumlichkeiten, wo die hl. Hostien versteckt gewesen und verwandelten dieselben in eine Kapelle zu Ehren des Jesuleins. Ich hatte die Freude, die Gnadenstätte Anno 1965 besuchen zu dürfen. Sie wird heute von Klosterfrauen des Santo Sepulcro betreut. Mehrere amtliche Akten aus jener Zeit beglaubigen die wunderbaren Ereignisse, die außerdem in Kunstwerken verschiedenster Art verewigt sind. Rom hat die Andacht zum Jesuskinde, welches seither den Ehrennamen «Santisimo Niño del Milagro» trägt, mit Ablässen gutgeheißen.
Alljährlich aber feiert Alcoy vom 29. bis 31. Januar das Wunderbare Jesulein von Alcoy mit dreitägigen Festlichkeiten. Das Allerheiligste wird in feierlicher Prozession wie am hochheiligen Fronleichnamsfest durch die Straßen getragen. Und zwischen Blumen zieht die lächelnde Statue des Jesuleins mit, die seit dem Wundertage des Jahres 1568 geneigt geblieben ist. So ist Alcoy wohl die einzige Stadt des Erdkreises, wo mitten im Winter Fronleichnamsprozession gehalten wird.

Dr. Maria Haesele, "Santa Rita", 15. Jg., Nr. 6, Februar 1966

domingo, abril 22, 2007

Die blutigen Hostien von Daroca - Los santos corporales - El misterio de Daroca

Abbildung: Los Corporales de Daroca

Jahrelang kämpfte der tapfere spanische König Jakob I., der «Eroberer», um die Balearen des Mittelmeeres vom grausamen Joche der widerrechtlich eingedrungenen Mohammedaner zu befreien. — Nachdem er die paradiesischen Inseln Mallorca und Menorca dem Halbmond entrissen, führte er seine Truppen gegen das mächtige Valencia. Auf dem Wege dorthin errichtete er auf dem Berge Códol bei Burriana eine solide Festung für die christlichen Krieger, die sich ihm aus den umliegenden Gebieten von Teruel, Calatayud und Daroca zur Verfügung stellten.
Zornentbrannt beschloß der Maurenkönig Ben-Zayan (Zaen), dieses christliche Heer von nur 4000 Mann rasch zu vernichten. Er zog demselben mit einer Übermacht von 40000 Mann entgegen. Dennoch wagte König Jakob, einzig auf die Hilfe Gottes vertrauend, die ungleiche Schlacht. Er siegte und vermochte anschließend die wohlbefestigte Stadt Valencia zu erobern. Soldaten von Daroca waren es, denen es gelang, die Kreuzesfahne auf dem Stadttor Serranes von Valencia zu hissen.
Im weiten Lande verstreut aber verblieben noch manche gewaltige Zwingburgen des Islams, die hofften, den Christen bei nächster Gelegenheit den Sieg wieder zu entreißen. Besondere Gefahr drohte den christlichen Truppen auf dem Berge Códol, von dem feindlichen Schlosse Chio, Lachente, drei Meilen von Jativa entfernt.
Fray Luis de Granada, der berühmte Dominikaner-Schriftsteller des goldenen spanischen Zeitalters, berichtet in seinem klassischen Stile:
«Im Königreiche Valencia, im Jahre des Herrn 1239, überfiel ein großes maurisches Heer eine kleine christliche Mannschaft von nur 1000 Mann, die sich in einer Burg befanden. Überlegend, daß sie nur so wenige seien und zu weit von Valencia entfernt, als daß ihnen durch König Jakob von dort hätte Hilfe werden können, sahen sie ein, daß sie einem so zahlreichen Feinde gegenüber unterliegen müßten, wenn ihnen Gott nicht durch ein besonderes Wunder und außergewöhnliche Gnade beistehe. Diese spezielle Hilfe Gottes suchten die sechs Hauptleute durch den Empfang des Bußsakramentes und der hl. Eucharistie zu erlangen. Da aber nur wenige Priester anwesend und der Feind bereits im Anzug war, fehlte es an Zeit zum Sakramentenempfang aller Krieger. Nachdem die sechs Befehlshaber, gleichsam als Stellvertreter ihrer Soldaten, gebeichtet hatten, wohnten sie der hl. Messe bei, in welcher der Priester sechs Hostien verwandelte, um ihnen die hl. Kommunion spenden zu können. Doch plötzlich wurden sie von der Botschaft überrascht, der Feind greife an. Die sechs Anführer sahen sich daher genötigt, denEmpfang der hl. Kommunion aufzuschieben, um sogleich nach den Waffen zu greifen. Doch Unser Herr schaute wohlgefällig auf die Mühe und den guten Willen, mit welcher sich diese Vorgesetzten auf Seinen Empfang vorbereitet hatten. Ihr Vertrauen auf Ihn und ihr Flehen zu Ihm belohnend, stärkte Er sie dermaßen, daß sie in kurzer Zeit die Mauren zu schlagen vermochten. Nur wenige Feinde entkamen heil dem Schlachtgetümmel. Jene sechs Hauptleute aber wollten, als sie siegreich und voller Dank für Gottes Beistand zurückkehrten, das Angefangene vollenden, nämlich die hl. Kommunion empfangen.
Der Priester eilte mit dem Corporale, in welchem er, während der Schlacht, die sechs hl. Hostien unter einem Steinhaufen verborgen hatte, herbei. Als er nun das Linnen auf dem Altar auseinanderfaltete, fand er die Hostien blutig am Corporale klebend vor, so wie man sie heute noch sieht. Als er der ganzen Heerschar verkündete, was geschehen, wurden alle von großer Verwunderung und Andacht ergriffen, und die Tränen, die dort flossen, priesen Gott und sagten Ihm Dank für ein so außerordentliches Wunder.»
Doch nur eine kurze Weile vermochten sich die braven Krieger des Anblickes der wunderbaren Hostien zu erfreuen, denn die Sarazenen kehrten mit neuen Scharen zum Angriff zurück. Gestärkt durch das erlebte Wunder, in dem sie ein Unterpfand des Sieges erblickten, warfen sich die Männer von Teruel, Calatayud und Daroca den Mauren entgegen. Wahrer Heldenmut aber ergriff die kleine Schar, als der Feldgeistliche Matheo Martinez, der von Daroca stammte, das geheimnisvolle Corporale, an einem Stecken befestigt, gleich einer Siegesfahne, von der Zinne der eroberten Burg Chio aus, über das Schlachtfeld schwang.
Vom roten Erlöserblut auf dem weißen Linnen schienen leuchtende Strahlen auszugehen, welche die feindlichen Reiter und ihre wilden Araberpferde blendeten und verwirrten, die christlichen Scharen aber ermutigten. Trotz siebenfacher Übermacht erlagen die Söhne Mohammeds. Ihre Gefallenen bedeckten das Schlachtfeld, während nur wenige Christen ihr Leben eingebüßt hatten. Die Niederlage war so vollkommen, daß die Mauren für immer aus dem Reiche Valencia weichen und es den rechtmäßigen Besitzern überlassen mußten, welche schon im ersten christlichen Jahrhundert durch den Völkerapostel Paulus und den hl. Apostel Jakobus den Jüngern den wahren Glauben erhalten hatten. So änderte jene siegreiche Schlacht vom 23. Februar 1239, unter dem Banner eines eucharistischen Wunders, die glorreiche Geschichte Spaniens.
Wir können uns vorstellen, mit welcher Verehrung jene Krieger zum Corporale mit den sechs blutgeröteten Hostien aufschauten. Eifrig wurde beraten, wo dieser kostbare Schatz fürderhin aufbewahrt werden solle. Der oberste Hauptmann, Don Berenguer, hätte das Corporale am liebsten nach Valencia mitgenommen, weil das Wunder im dortigen Gebiete geschehen war. Doch das Kriegsvolk verlangte, daß das Los entscheide. Da ging zum Staunen aller dreimal die Stadt Daroca siegreich aus der Ziehung hervor. Doch, da andere Gemeinden erklärten, sie hätten mehr Mannschaft und mehr Beiträge geleistet, einigte man sich zu einem Vorgehen, das in früheren Zeiten oft als Ausweg bei Meinungsverschiedenheiten angewendet wurde.
Man beschloß nämlich, das von allen so hochgeschätzte Corporale in einer rasch angefertigten kostbaren Truhe auf eine junge, sanfte Eselin, die noch nie christliches Gebiet betreten hatte, zu laden und frei laufen zu lassen. Dort, wo das Tier halten werde, dort soll der kostbare Schatz verbleiben!
Gesagt, getan! Das Tier lief mit dem hochheiligen Fronleichnam des Herrn gemütlich voran, bergauf, bergab, durch Wiesen und Äcker. Die Geistlichkeit folgte mit brennenden Kerzen, die Feldherren mit ihren Soldaten, und immer mehr Volk schloß sich auf dem Wege singend und betend an.
Erinnert dies nicht unwillkürlich an jene erste Fronleichnamsprozession, da der göttliche Heiland persönlich, demütig auf einer Eselin reitend, nach Jerusalem zog und dankbar lächelnd die Hosannarufe des Volkes entgegennahm?
Sanft schritt die maurische Eselin weiter und weiter an Städten, Burgen und Weilern vorbei, und schon fürchtete Daroca, sie werde mit ihrem hochheiligen Geheimnis vorüberziehen gegen Calatayud. Doch plötzlich schritt das Tier durch das offene Tor eines Spitals bei den Stadtmauern Darocas, ließ sich vor der Kapelle auf die Knie nieder und tat den letzten Schnauf. Es war, ols ob das Tier, nachdem es den Herrn des Himmels getragen, keinem irdischen Herrn mehr dienen sollte!
Tiefbewegt trug die Geistlichkeit das wunderbare Corporale mit den sechs hl. Hostien in die Kathedrale Santa Maria. Dort wird es bis heute in einem kunstvollen Reliquienschrein, auf dem Altar einer herrlichen Seitenkapelle, ehrfürchtig aufbewahrt und alljährlich in der Fronleichnamsprozession mitgetragen und das Volk damit gesegnet. Fast alle spanischen Könige wallfahrteten im Laufe der letzten sieben Jahrhunderte nach Daroca, um dem «hochheiligen Geheimnis» den Tribut ihrer Anbetung zu zollen.
Im Jahre 1263 begab sich eine Gesandtschaft von Daroca nach Rom, um dem hl. Vater über das Wunder Bericht zu erstatten und Ablässe zu erbitten. In jenen Tagen, da die Abgeordneten Papst Urban IV. in Orvieto trafen, geschah das Wunder einer blutenden Hostie in der nahen Stadt Bolsena. Tief beeindruckt von beiden eucharistischen Wundern führte der hl. Vater im darauffolgenden Jahre 1264 das hohe Fronleichnamsfest in die Liturgie der ganzen Weltkirche ein.

Darf ich noch kurz über meine eigene Pilgerfahrt berichten?
Im Juni 1964 hatte ich das Glück, nach Daroca zu gelangen. Eine berufliche Reise nach Zaragoza gab mir Gelegenheit, mit einem Überlandbus in dreistündiger Fahrt dorthin zu gelangen. Abends 8 Uhr kamen wir an. Da das Nachtessen erst um 10 Uhr serviert wurde, eilte ich rasch in die Kathedrale.
Der HH. Pfarrer hielt gerade eine Predigt und darnach auch der HH. Vikar. Es war nämlich monatlicher Einkehrtag der Pfarrgemeinde. Nachher knieten sich viele vereinzelte Beter in die herrliche Seitenkapelle, wo das berühmte Corporale mit den sechs blutigen Hostien aufbewahrt wird, vor den wunderbaren gotischen Altar, auf welchem der kostbare Reliquienschrein steht. Man erklärte mir, daß der Schrein immer geöffnet werde, wenn eine Gruppe von Pilgern das Corporale zu sehen wünsche. Dies werde sicher anderntags der Fall sein, da Sonntag sei.
Ins Hotel zurückgekehrt, wurden wir erst um halb elf Uhr serviert, da man einen Pilgercar von Madrid abwartete. Endlich gegen elf Uhr nachts konnten wir das Speisezimmer verlassen. Da es sehr heiss war, wagte ich noch einen kleinen Trip durchs Städtchen.Dabei bemerkte ich, daß die Kathedrale immer noch offen stand. Ich trat ein und sah, wie sich eine Gruppe Männer in der Sakristei versammelte, während die Frauen in den Kirchenbänken beteten. Um halb 12 Uhr nachts trat der HH. Pfarrer an den Sakramentsaltar und setzte feierlich das Allerheiligste aus. Nach kurzem Gebete ergriff er die Monstranz und schritt im Chormantel damit zur Kirchentüre. Männer und Frauen folgten ihm mit brennenden Kerzen. Ich dachte, die Prozession werde wohl um die Kirche herum gehen, doch staunend sah ich, wie der Priester mit dem Allerheiligsten über den Kirchenplatz in die städtische Hauptstraße einbog.
Auf meine Frage erklärte mir eine junge Frau, daß die Sakramentsprozession zu einer Muttergotteskapelle auf einen steilen Hügel außerhalb der Stadt pilgere, zur allmonatlichen nächtlichen Anbetung. Dann bot sie mir freundlich ihren Arm, damit ich, des Weges als Fremde unkundig, im Dunkeln mit meiner Kerze nicht über einen Stein stolpere.
Der Pfarrherr schritt mit jugendlichem Elan rasch bergan, gefolgt von einigen Priestern und etwa hundert Männern und Frauen und Jugendlichen. Der Nachtwind blies hin und wieder unsere Kerzen aus, doch hilfreich bemühte man sich gegenseitig, neues Licht anzuzünden. Zwei junge Bauern trugen einen Korb mit Kerzen mit, um jenen davon austeilen zu können, die sich unterwegs anschlossen. Doch trotz des Kerzenscheins sah man kaum, wohin man den Fuß setzte.
Wir schwitzten ob des raschen Aufstieges, obwohl Mitternacht vorüber war. Nach etwa dreiviertelstündigem Weg hatten wir die Hügelkuppe erreicht. Der Geistliche stellte die Monstranz in einer altehrwürdigen, prächtigen Kapelle auf den Hochaltar. Unter Gesängen begann die gemeinsame Anbetung. Um 1 Uhr kehrten die Geistlichen mit einem Teil des Volkes in die Stadt zurück. Die junge Frau erklärte mir, daß sie leider ihrer kleinen Kinder wegen mit ihrem Manne heimkehren müsse. Zur Frühmesse um 6 Uhr werde sie wieder zurück sein.
Jede Stunde wechselten nun einige Männer vor dem Allerheiligsten ab. Sie hatten eine Kniebank direkt vor den Altar gestellt. Dort beteten nun diese opferbereiten Jungbauern, Angestellten und Akademiker auf Lateinisch die Tagzeiten vom allerheiligsten Altarssakrament.
Hin und wieder sank dem einen oder andern vor Müdigkeit der Kopf auf die Brust hinab, wie weiland den treuen Jüngern am Ölberge. Aber es war ergreifend, diese Männer in vertrautem Vis-à-Vis mit ihrem göttlichen Meister zu sehen. Die Liebe zum allerheiligsten Altarssakrament machte sie trotz aller Unterschiede an Alter, Bildung und Besitz zu innigsten Freunden. Jede Gruppe ging nach ihrer Anbetungsstunde ins angebaute Sigristenhaus. Dort gab es Bänke zum Ausruhen und vor allem kühles Quellwasser in der glühheißen Nacht!
Vor 6 Uhr kehrte der HH. Vikar zurück und bot den Anbetern Beichtgelegenheit, die eifrig benützt wurde. Dann trug er das Allerheiligste prozessionsweise zur Kapelle hinaus und segnete im Frührot all die Äcker und Fluren, die sich unendlich weit bis zum Horizont erstreckten.
Die Kapelle hatte sich inzwischen wieder mit Betern gefüllt. Die hl. Messe begann und keiner blieb dem Tische des Herrn fern.
Auf dem Heimweg bergab plauderten alle fröhlich miteinander. Mir war, als sei ich mitten unter die ersten Christen geraten, so glücklich schritten diese Männer und Frauen heim von der nächtlichen Eucharistiefeier. Und dieses Schauspiel wiederholt sich jeden Monat. Da verwunderte ich mich nicht mehr darüber, daß es die göttliche Vorsehung anno 1239 gelenkt hatte, daß das blutige Corporale mit den sechs wunderbaren Hostien nach Daroca kam und seither dort verblieb! Denn dort wird nicht nur einmal im Jahre, sondern monatlich, bei Sturm oder Stille, bei Kälte oder Hitze, inmitten der Nacht, bei Lobliedern und Kerzenschein, Fronleichnamsprozession gehalten!

Dr. Maria Haesele "Santa Rita", 13. Jahrgang, Nr.12, August 1964